Gastbeitrag von OMR-Chefredaktur Roland Eisenbrand
Der Performance-Marketing-Experte spricht im Interview mit OMR über die Veränderungen in der Branche
Seit Jahren wird in der Digitalbranche über den Zustand des Affiliate Marketings kontrovers diskutiert – eine Google-Suche nach „Affiliate Marketing ist tot“ weist aktuell 26.700 Ergebnisse aus. Markus Kellermann ist seit rund 20 Jahren in der Branche tätig, heute eine der bekanntesten Figuren der deutschen Affiliate-Szene und damit natürlich ein glühender Befürworter der Disziplin. Mit OMR hat der 41-Jährige über die Konsolidierung in der Branche und die Herausforderungen im Affiliate Marketing gesprochen, aber auch darüber, welchen Umsatzbeitrag Affiliate Marketing im E-Commerce immer noch leistet.
Vor fast 25 Jahren, im Juli 1996, hat der heutige E-Commerce-Riese Amazon sein „Amazon Associate“-Programm gestartet. Auch wenn Amazon nicht das erste Unternehmen mit solch einer Art „Partnerprogramm“, dessen Teilnehmer eine Provision pro vermitteltem Kauf erhielten, war: Durch den großen Erfolg des Programms gilt dieses Datum quasi als Startschuss des Affiliate Marketings.
Vom Bürokaufmann-Azubi zum Klassensprecher der Affiliate-Szene
Markus Kellermann war fast von Anfang an in der Branche mit dabei. Schon 1999 beginnt er in der Ausbildung zum Bürokaufmann mit Website-Programmierung und Suchmaschinenoptimierung für seinen Arbeitgeber und erstellt nebenher eigene Affiliate-Projekte. Über die Jahre hinweg führt ihn sein Weg über das Versandhaus Erwin Müller und die Agentur Explido hin zur Performance-Marketing-Agentur xpose360 (mehr über Markus‘ Weg in einer der frühen Folgen des OMR Podcasts). Die leitet er seit fast sieben Jahren als Geschäftsführer. Nebenher veranstalten Markus und xpose360 die Affiliate Conference, eine der wichtigsten Events der Szene. Und in seinem Affiliate-Blog setzt sich der Performance-Marketing-Pionier mit der Entwicklung der Branche auseinander.
Die hat zuletzt nicht nur positive Schlagzeilen gemacht: Konsolidierungen, neue datenschutzrechtliche Bestimmungen und die Dominanz der großen, digitalen Plattformen stellen das Affiliate Marketing immer wieder vor Herausforderungen. Wie die Branche diese bewältigt, darüber haben wir mit Markus in einem Interview gesprochen.
OMR: Große Online-Shops waren am Anfang mit die Wachstumstreiber im Affiliate Marketing. In den letzten Jahren hat man nun von zwei großen E-Commerce-Unternehmen eher Negatives über ihre Partnerprogramme gehört. Zalando hat dem Hörensagen nach vor einigen Jahren das Affiliate Marketing stark eingedampft; Amazon hat in Deutschland 2016 einigen großen Publishern die Partnerschaft aufgekündigt, in den USA hat der Konzern in diesem Frühjahr die Provisionen stark gekürzt. Kann man daraus ableiten, dass das Affiliate Marketing auf dem absteigenden Ast ist?
Markus
Kellermann: Das
glaube ich nicht. Wir sehen bei unseren Kunden eher, dass deren Budgets im
Affiliate-Bereich wachsen. Das spiegelt sich auch in dem Affiliate-Trendreport 2020 wieder, den wir jedes Jahr erstellen, und für
den ja nicht nur unsere Kunden befragt werden, sondern über 1000 Vertreter der
Affiliate-Branche. Natürlich gibt es auf immer mal wieder einzelne Advertiser,
die ihre Strategie wechseln. Wobei man im Fall von Zalando auch sagen muss,
dass die nicht nur ihre Affiliate-, sondern ihre komplette
Online-Marketing-Strategie geändert haben, und sie meines Wissens nach dennoch
auch mit einigen großen Partnern direkte Kooperationen eingegangen sind. Demgegenüber
gibt es dann immer wieder einzelne Shops, die mit Affiliate Marketing stark
wachsen und deren Umsätze durch die Decke gehen. Der BVDW schätzt, dass im Jahr 2019 Affiliate Marketing im
E-Commerce für zehn Milliarden Euro Umsatz gesorgt hat – von 70 Milliarden Euro
Gesamtumsatz. Meiner Ansicht nach kann es für einen Online-Shop auch nichts
besseres geben, als Performance-basiert Traffic einkaufen zu können und
unabhängiger von den GAFA-Plattformen zu werden.
Ein Trend, von dem ich in den letzten Jahren aus dem Affiliate Marketing
immer mal wieder gehört habe, ist der, dass manche Advertiser ihre
Partnerprogramme nicht mehr unter dem Dach von großen Affiliate-Netzwerken
betreiben, sondern die Technologie dafür einkaufen und selbst ein “Private
Network” betreiben. Ist das immer noch so?
Kellermann: Ja und Nein. Man merkt auf jeden Fall, dass gerade bei großen Onlineshops das Interesse an Private-Affiliate-Technologien in den letzten Jahren gestiegen ist. Bei unserer Umfrage haben 2018 noch 28 Prozent gesagt, dass sie sich mit dem Thema ‘Private Network’ beschäftigen; 2020 waren es schon 48 Prozent. Als Grund dafür geben die meisten die Reduzierung von Kosten und eine engere Bindung zu den Affiliates an. Die Kostenreduzierung bringt allerdings meiner Erfahrung nach bei vielen Advertisern oftmals nicht den erhoffen Nutzen, weil dann gleichzeitig durch den Kostendruck der Netzwerke und Technologieanbieter auch der Service darunter leiden kann. Zudem gibt es auch bei den öffentlichen Affiliate-Netzwerken mittlerweile unterschiedliche Preismodelle, entsprechend der benötigen Anforderungen des Advertiser. Viele Onlineshops betreiben heute auch ein Private Network parallel zu ihrem öffentlichen Partnerprogramm. Im privaten Netzwerk gehen sie dann Direktkooperationen mit großen Publishern ein, über das Public Network bilden sie den Longtail ab.
Ratet Ihr Euren Kunden auch zu dieser Doppelstrategie?
Kellermann: Das kann man tatsächlich so Allgemein nicht bewerten, sondern das muss man für jeden Advertiser und dessen Branche individuell betrachten. Es hängt immer davon ab, was dem Advertiser wichtig ist: Die breite oder die spezielle Reichweite. Im Finanzbereich beispielsweise gibt es mit financeAds einen gut aufgestellten, spezialisierten Anbieter. Im Retail-Segment ist die Auswahl schon größer. Unser Kunde Schöffel beispielsweise, der Hersteller von Outdoor-Kleidung, will den Fokus im Affiliate-Marketing vor allem auf zielgruppenorientierte Content-Portale legen und startet jetzt mit einem Partnerprogramm bei Awin, weil diese auch die passenden Content-Seiten im Portfolio haben. Wenn wir dort mit einem Private Network gestartet wären, hätten wir erst einmal einen aufwändigen Prozess gehabt, die entsprechenden Publisher von einem Private Network zu überzeugen und diese zu aktivieren, sich dort anzumelden.
Die Fusion von Affilinet und Zanox zu einem großen Anbieter unter dem Namen Awin hat im Markt der öffentlichen Netzwerke im Jahr 2018 große Wellen geschlagen. Es gab auch andere Übernahmen. Wie ist Dein Blick auf diese Entwicklung? Kann man aus ihr herauslesen, dass der Markt geschrumpft ist?
Kellermann: Es stimmt, dass sich im Affiliate-Netzwerk-Markt in den letzten Jahren extrem viel bewegt hat und es eine Konsolidierung gab. Awin hat da sicherlich die meiste Aufmerksamkeit erregt. In Deutschland fand darüber hinaus beispielsweise die Übernahme von Retailerweb, heute Retail Ads, durch die Vertical Ads Group statt; Belboon ist mit Ingenious Technologies eine Kooperation eingegangen. Mit ein Treiber dieser Entwicklung ist, dass heute viele Advertiser nur noch exklusiv bei einem Netzwerk sind. Früher galt: Je mehr Netzwerkpartner, desto höher die Reichweite des Kunden. Das ist heute eigentlich nicht mehr so, weil die meisten Affiliates bei fast allen Netzwerk angemeldet sind. Das heißt aber nicht, dass der Markt schrumpft, ganz im Gegenteil. Denn zum einen gibt es immer mal wieder neue Anbieter, auch Internationale wie zuletzt beispielsweise in Deutschland Rakuten oder Impact. Und zum anderen ist das Affiliate Marketing ja über die Jahre hinweg auch komplexer geworden; durch eine Vielzahl von Devices auf Endkundenseite, viele unterschiedliche Publisher-Modelle, diverse Vergütungsmodelle, höhere datenschutzrechtliche Anforderung und dadurch komplizierteres Tracking… Deswegen sind beispielsweise auch neue Player hinzugekommen, die eher technologiefokussiert sind. Der BVDW hat zuletzt 50 Netzwerke und 40.000 Affiliates gezählt. Dazu kommen dann noch 150 Agenturen. Insgesamt sollen im Affiliate Marketing in Deutschland 95.000 Fachkräfte beschäftigt sein.
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Was hat sich denn in Sachen Vergütungsmodelle getan?
Kellermann: Da gab es massive Veränderungen. Früher wurden die Affiliates ja rein Cost-per-Order-basiert vergütet: für eingekaufte Schuhe für 100 Euro haben die Affiliates z.B. fünf Prozent Provision bekommen. Heute ist das noch deutlich datengetriebener; auf Advertiser-Seite gibt es verschiedene Attributionsmodelle und so genannte Tracking-Weichen, um zuzuweisen, welcher Touchpoint welchen Beitrag zur Conversion geleistet hat. Weil das für die Affiliates nicht immer transparent ist, sind neue Vergütungsformen aufgekommen, mit denen die Affiliates ihr unternehmerisches Risiko ein wenig austarieren wollen. Ein Mittel, das sich dabei etabliert hat, sind WKZ, also Werbekostenzuschüsse. Die erheben die Affiliate Publisher gegenüber den Advertisern beispielsweise für Startseiten- oder Newsletterplatzierungen. Bei unserer jährlichen Umfrage gaben 70 Prozent der Advertiser an, bereits WKZ oder andere Hybrid-Modelle anzuwenden, 60 Prozent verzeichneten steigende Umsätze dadurch. Letztendlich geht es aber immer darum, dass sowohl Affiliates, als auch Advertiser wirtschaftlich agieren müssen und unterm Strich zählt der effektive CPO inklusive aller Kosten. Wenn dieser für beide Seiten passt, kann damit auch eine langfristige Partnerschaft gewährleistet werden.
Und wie stark ist die Affiliate-Branche von den Änderungen in Sachen Datenschutz und Tracking betroffen?
Kellermann: Sehr stark. Da gibt es so viele unterschiedliche Veränderungen, das dieses Thema auch im nächsten Jahr noch alles andere überlagern wird. Viele Unternehmen arbeiten deswegen hart daran, hier neue Lösungen zu finden. Da gibt es zum einen den Wegfall der Third-Party-Cookies. Dazu haben die meisten Netzwerke bereits Lösungen gefunden und bietet Alternativen an, wie beispielsweise Awin mit dem Bouncless-Tracking, oder auch mit Server-to-Server-Tracking, welches die meisten Netzwerke und Technologie-Anbieter mittlerweile im Portfolio haben. Außer den Third-Party-Cookies wurde in der Branche zuletzt auch das Thema TCF 2.0 diskutiert – eine Aktualisierung des “Transparency & Consent Frameworks”. Mit dem will das Internet Advertising Bureau standardisieren, wie die Branche bei den Usern das Einverständnis zur Datenspeicherung einholt und speichert. Awin wollte an TCF 2.0 zuerst nicht teilnehmen, weil sie befürchtet haben, dass sie auf juristischer Ebene nicht ein so genanntes ‘berechtigtes Interesse’ geltend machen zu können. Als dann der Druck von Publishern zu groß wurde, haben sie sich umentschieden. Als nächstes steht dann ja noch eine neue ePrivacy-Verordnung ins Haus, die innerhalb der nächsten Jahre in der EU in Kraft treten soll und nach derzeitigem Stand eine noch strengere Cookie-Regelung mit sich bringen wird. Derzeit ist es allerdings noch so, dass sich die Affiliate-Branche in den meisten Fällen noch auf das ‚berechtigte Interesse‘ beziehen kann. Erst letzte Woche hat der BVDW hierzu einen neuen Leitfaden veröffentlicht. Dabei kommen die Experten zu dem Schluss, dass es sich bei der Attribution im Affiliate-Marketing um eine Verarbeitung handelt, bei der die Interessen des Nutzers auch bei Einsatz eines Cookies nur minimal betroffen sind. Generell bin ich mir allerdings sicher, dass das Thema Datenschutz und Tracking die Affiliate-Branche auch in den kommenden Jahren dauerhaft auf Trab halten wird. Daher sollte man sich auch einmal mit den sog. „Log-in-Allianzen“ wie z.B. NetID beschäftigen, die zukünftig für die Online-Branche ein Alternative zum bisherigen Cookie-Tracking sein könnte.